COVID-19 – Bauzeitenverzögerung und Baustelleneinstellungen – Auswirkungen auf Bauwerkverträge
Die derzeitige COVID-19-Krise stellt die gesamte Immobilien- und Bauwirtschaft vor große Herausforderungen und bringt auch gewisse Unsicherheiten mit sich.
Maßnahmen des Gesetzgebers im Zusammenhang mit COVID-19
Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes (BGBl. I Nr. 12/2020) die Verordnung zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung von COVID-19 (BGBl II 2020/98, kurz COVID-19-Verordnung) erlassen. Diese Verordnung untersagt die Betretung öffentlicher Orte und gilt für ganz Österreich bis einschließlich 22. März 2020, wobei die Maßnahmen zwischenzeitig bereits bis zum 13. April 2020 verlängert wurden.
Ausgehend von den Gesetzesmaterialen ist die Verordnung so auszulegen, dass zwar Geschäftslokale unter den Begriff „öffentlicher Raum“ fallen, nicht jedoch Produktionsbereiche, da in solchen Produktionsbereichen anders als in Geschäftslokalen üblicherweise kein reger Kundenverkehr zum Zwecke des Erwerbs von Waren- und Dienstleistungen herrscht. Durch die Maßnahmen soll jedoch gerade der Kundenverkehr weitestgehend minimiert werden.
Zwischenzeitig wurde im Parlament ein Gesetz verabschiedet (Änderung zum COVID-19-Maßnahmengesetz BGBl. I Nr. 16/2020), welches die Grundlage geschaffen hat, durch Verordnung auch Baustellen zu schließen (in § 1 wird nach der Wortfolge „Waren und Dienstleistun-gen“ die Wortfolge „oder Arbeitsorte im Sinne des § 2 Abs. 3 ASchG“ eingefügt). In der verwiesenen Bestimmung sind auch explizit Baustellen genannt, sodass es durch eine neu erlassene Verordnung generell zu Baustelleneinstellungen durch behördliche Maßnahmen kommen kann.
Was bedeutet dies nun für Baustellen
Baustellen sind im Lichte der derzeit gültigen COVID-19-Verordnung regelmäßig nicht als öffentlicher Raum zu qualifizieren, da für gewöhnlich nur betriebsinterne Personen eine Baustelle betreten dürfen. Baustellen fallen daher sie nicht unter das grundsätzliche Verbot des § 1 der COVID-19-Verordnung und ebenso wenig zählen Baustellen auch nicht zu den gemäß § 1 der COVID-19-Verordnung zu schließenden Betriebsstätten. Es besteht also kein absolutes Betretungsverbot für Baustellen.
Des Weiteren gilt es zu beachten, dass gemäß § 2 Z 4 der COVID-19-Verordnung ein Betreten auch dann von einem allfällig vorliegenden Verbot ausgenommen ist, wenn gewährleistet ist, dass zwischen den Personen ein Abstand von mindestens 1 Meter eingehalten oder das Infektionsrisiko durch andere entsprechende Schutzmaßnahen minimiert werden kann. Bauarbeiten auf Baustellen können daher grundsätzlich zulässigerweise durchgeführt werden, wenn gewährleistet ist, dass keine externen Personen die Baustelle betreten und zwischen den auf der Baustelle tätigen Personen ein Abstand von mindesten einem Meter eingehalten werden kann.
Ungeachtet dessen kann es für Bauunternehmen faktisch nicht möglich sein, die Baustellen weiterzuführen, da beispielsweise Arbeiter aufgrund von mit COVID-19 in Zusammenhang stehenden Grenzschließungen oder Quarantäne-Anordnungen nicht mehr nach Österreich einreisen oder zur Baustelle gelangen können bzw. weil es zu durch COVID-19 bedingten Materiallieferschwierigkeiten kommt. Wie unter Punkt 1.3 erwähnt könnten Baustellen auch mittels neuer COVID-19-Verordnung behördlich eingestellt werden. In solchen Fällen stellt sich die Frage, wer das Risiko der Bauzeitenverzögerung und allfälliger Mehrkosten trägt.
Fällt COVID-19 unter den Begriff „höhere Gewalt“
Zur Definition des Begriffes „höhere Gewalt“ muss die Judikatur und Literatur herangezogen werden, da sich in den österreichischen Gesetzen keine Legaldefinition findet. Als höhere Gewalt wird demnach „ein von außen einwirkendes, elementares Ereignis, das auch durch die äußerste Sorgfalt nicht zu verhindern war und so außergewöhnlich ist, dass es nicht als typische Betriebsgefahr anzusehen ist“ angesehen.
Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung zu 4 Ob 103/05h vom 14.6.2005 den Ausbruch der Infektionskrankheit SARS als höhere Gewalt qualifiziert. Im Lichte dieses Judikats ist somit davon auszugehen, dass auch der Ausbruch von COVID-19 als ein Fall höherer Gewalt qualifiziert wird.
Wer trägt das Risiko für Fälle höherer Gewalt
Entscheidend für die Frage, wer das Risiko für Fälle der höheren Gewalt im Zusammenhang mit Baustelleneinstellungen, Bauzeitenverzögerungen und allfälligen Mehrkosten trägt, ist die jeweilige Ausgestaltung des Bauwerkvertrages. In concreto ist zu prüfen, ob im Bauwerkvertrag die Anwendbarkeit der ÖNORM B2110 bzw. B2118 vereinbart ist oder der Bauwerkvertrag lediglich den werkvertraglichen Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) unterliegt.
Bauwerkverträge nach ABGB
Auf Werkverträge unter dem Regime des ABGB gelangt grundsätzlich die Sphärentheorie gemäß § 1168 ABGB zur Anwendung. Es ist daher in einem ersten Schritt zu prüfen, ob der Grund für die Leistungsverzögerung in die Sphäre des Werkunternehmers, des Werkbestellers oder in die neutrale Sphäre fällt. Zur neutralen Sphäre zählen insbesondere Fälle der höheren Gewalt, wie dies – der Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu SARS folgend – auch für COVID-19 aller Voraussicht nach anzunehmen ist. Die neutrale Sphäre wird gemäß § 1168 ABGB dem Werkunternehmer zugerechnet, sofern vertraglich nichts Abweichendes geregelt ist.
Ist die Erbringung des geschuldeten Werks aus Umständen der neutralen Sphäre, zu welcher COVID-19 samt den damit verbundenen Gebietssperren und Materialknappheit zu zählen ist, nicht möglich, trägt grundsätzlich der Werkunternehmer als Auftragnehmer die Gefahr, da er den von ihm geschuldeten bestimmten „Erfolg“ nicht erbringen kann. In diesem Fall hat der Werkunternehmer keinen Anspruch auf Bauzeitenverlängerung und Abgeltung der Mehrkosten, sollten nicht anderweitige vertragliche Regelungen vereinbart sein.
Bauwerkverträge unter Anwendung der ÖNORM B 2110
Die ÖNORM B 2110 regelt in Punkt 7.2.1 Z 2 abweichend von den gesetzlichen Regelungen des ABGB, dass der Werkbesteller als Auftraggeber die Gefahr von Ereignissen trägt, welche zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar waren und vom Werkunternehmer als Auftragnehmer nicht in zumutbarer Weise abwendbar sind. Der Auftraggeber trägt daher bei Verträgen, in welchen die Anwendbarkeit der ÖNORM B 2110 vereinbart ist, das Risiko von Fällen höherer Gewalt.
In einem solchen Fall hat der Werkunternehmer daher Anspruch auf Verlängerung der Leistungsfrist (Bauzeitenverlängerung) sowie auf Vergütung der Mehrkosten. Die Preisgefahr liegt somit beim Auftraggeber.
Um bei ÖNORM-Verträgen als Auftraggeber allfälligen Behinderungsanzeigen durch den Auftragnehmer infolge von (berechtigten) Baustelleneinstellungen zu begegnen, könnte mit dem temporären Wegfall der Geschäftsgrundlage argumentiert werden. Diese Argumentation könnte auf eine Analogie zu § 1104 ABGB gestützt werden, da § 1104 ABGB normiert, dass bei Fällen außerordentlichen Zufalls (höhere Gewalt) beide Vertragspartner temporär von der Einhaltung ihrer jeweiligen vertraglichen Pflichten befreit sind. Folgt man dieser Argumentation hätte der Auftragnehmer keinen Anspruch auf Bauzeitenverlängerung und müsste der Auftraggeber keine Behinderungs-Mehrkosten aufgrund der Baustelleneinstellung tragen. Ob diese rechtliche Argumentation von der künftigen Rechtsprechung aufgegriffen wird, bleibt abzuwarten, da derzeit keine tragfähige Judikatur dazu vorliegt.
Vertragsstrafen
Vertragsstrafen setzen wegen ihres schadenersatzrechtlichen Charakters grundsätzlich ein Verschulden des Werkunternehmers voraus. Sofern ein Verschulden aufgrund der behördlichen Maßnahmen auszuschließen ist, wie dies bei COVID-19 bedingten gesetzlichen Maßnahmen der Fall sein wird, kann der Auftraggeber demnach keine Vertragsstrafe geltend machen. Anderes gilt selbstverständlich, wenn die Arbeiten rechtlich hätten fortgeführt werden dürfen, da diesfalls ein Verschulden des Werkunternehmers anzunehmen sein wird.
Die häufig in Bauwerkverträgen anzutreffenden verschuldensunabhängigen Vertragsstrafen fallen grundsätzlich auch dann an, wenn die Baustelle aufgrund behördlicher Maßnahmen eingestellt wird. Die Durchsetzbarkeit solcher verschuldensunabhängigen Vertragsstrafen wird jedoch voraussichtlich an deren gröblicher Benachteiligung oder Sittenwidrigkeit scheitern. Auch das gesetzlich vorgesehene richterliche Mäßigungsrecht, welches vorab auch zwischen Unternehmern nicht wirksam abbedungen werden kann, gilt es dabei zu beachten, sodass die Vertragsstrafe vom Gericht wohl deutlich reduziert werden würde.
Rücktrittsrechte
Bauwerkvertrag nach ABGB
Das dem allgemeinen Zivilrecht folgende Rücktrittsrecht des Auftraggebers aufgrund von Verzug des Auftragnehmers ist in § 918 ABGB geregelt. Dieses Rücktrittsecht besteht grundsätzlich unabhängig vom Verschulden des Auftragnehmers, wobei der Werkbesteller gesetzlich verpflichtet ist, dem Werkunternehmer vor oder gemeinsam mit der Erklärung des Vertragsrücktrittes eine angemessene Nachfrist zur Erbringung der geschuldeten Leistung zu setzen. Die Nachfrist muss so gesetzt werden, dass der Auftragnnehmer eine reale Chance zur Erbringung seiner Leistung hat. Wird die geschuldete Leistung nicht innerhalb der gesetzten Nachfrist erbracht, wird das Vertragsverhältnis aufgelöst. Zu beachten ist dabei jedoch, dass derzeit die Dauer einer angemessenen Nachfrist nicht eingeschätzt werden kann, solange die zukünftigen Entwicklungen der COVID-19-Krise nicht absehbar sind.
Bauwerkvertrag unter Anwendbarkeit der ÖNORM B 2110
Sofern die Anwendbarkeit der ÖNORM B 2110 vertraglich vereinbart ist und keine davon abweichenden Regelungen im Vertrag getroffen wurden, besteht gemäß Punkt 5.8.1. für beide Vertragsparteien das Recht vom Vertrag sofort (ohne Nachfristsetzung) zurücktreten, wenn eine Behinderung der Leistungserbringung absehbar länger als drei Monate dauert oder dauern wird. Im Fall eines Rücktritts gemäß Punkt 5.8.1 der ÖNORM B 2110 sind sämtliche bereits übernommene Teilleistungen abzurechnen und abzugelten, sämtliche noch nicht übernommenen, aber bereits vertragsgemäß erbrachten, ordnungsgemäßen Leistungen sind zu übernehmen, abzurechnen und abzugelten.